In memoriam
Dr. Heinrich Seemann
22. Mai 2035 – 18. Oktober 2022Ehrenpräsident der Walter-Spies-Gesellschaft
Liebe Mitglieder und Freunde der
Walter-Spies-Gesellschaft Deutschland,
die Erschütterung anlässlich der Nachricht vom Tode Dr. Heinrich Seemanns öffnet jedoch sogleich den Blick auf eine vielfarbig-reiche Collage der Erinnerungen an einen bedeutenden, liebenswerten Menschen, dessen Enthusiasmus für kulturelle Themen spontan in unerwartete Aktion münden konnte.
Geboren 1935 in Stuttgart, begann nach der Promotion sein Dienst im Aussenamt der BRD, in dem er viele Jahre vor Ort Chef des Protokolls der Bundesregierung war. Seine Auslandstätigkeiten als Botschafter führten ihn nach Nepal und Mali, wie auch von 1994 bis 2000 nach Jakarta, wo er –- gemeinsam mit seiner Frau Karin Seemann – weit über seine Dienstzeit hinaus tiefe Spuren im kulturellen Dialog zwischen Indonesien und Deutschland hinterlassen hat.
Dr. Heinrich Seemann schrieb u. a. folgende Bücher:
- „Von Goethe bis Emil Nolde – Indonesien in der deutschen Geisteswelt“, Jakarta 1998
- „Spuren einer Freundschaft – Deutsch-Indonesische Beziehungen vom 16. bis 19. Jahrhundert“, Jakarta 2000
Im August 1995 feierte Indonesien seinen 50. Jahrestag der ersten Befreiung von der niederländischen Kolonialmacht. Es war Dr. Heinrich Seemann, der – als Geschenk der BRD Deutschland – die Restaurierung von fünf Spies-Werken aus dem Präsidentenpalast durch Renate Kant veranlasste.
Im September 1995, anlässlich des 100. Geburtstages von Walter Spies, wurde durch die deutsche Botschaft und das Goethe-Institut die Präsentaton ‚Walter Spies di Indonesia‘ in der Galeri Nasional von Jakarta eröffnet. Während der letzten zwei Wochen vor der Eröffnung – unvergesslich – erschien Dr. Seemann täglich zu intensiv konstruktiven Gesprächen in den Ausstellungsräumen.
Unvergesslich bleibt mir auch seine Teilnahme an einem ‚Raden-Saleh-Symposium‘ im Goethe-Institut Bandung. Seine Ankündigung – wegen politscher Dringlichkeiten – nur kurze Zeit bei der Eröffnung präsent sein zu können, wurde durch seinen Enthusiasmus für das Thema, spontan umgeworfen. Er blieb sogar bis zum Ende des folgenden Tages … im dauerhaften Spaghat zwischen langen Telefonaten mit seiner Botschaft und seinen Diskussionsbeiträgen zum Maler Raden Salah.
1996, nach Gründung der ‚Walter-Spies-Gesellschaft Deutschland‘ in Köln, war er zu unserer Freude, sogleich bereit, unser deutscher Ehrenpäsident zu werden, während Dr. A. A. Madé Djelantik der balinesische Ehrenpräsident wurde. Beiden sind wir zu grossem Dank verpflichtet.
Auch der Komponist Prof. Dieter Mack erinnert sich:
Ich habe Herrn Dr. Seemann während seiner gesamten Zeit als Botschafter in Indonesien erlebt und glaube sagen zu können, es war eine Zeit der vielfältigen kulturellen Aktivitäten seitens der Botschaft, die zeitweise fast das Goethe Institut ausgestochen hätte.
Dass er sich als Botschafter ausführlich mit der Kultur des Landes beschäftigte, war für ihn eine Selbstverständlichkeit. Er war als ehemaliger Protokollchef eine beeindruckende Persönlichkeit mit viel Stil und Witz, zugleich aber eine vielseitig interessierte Person, die dem Begriff der kulturellen Bildung eine hohe Bedeutung zumaß. Meine erste Begegnung – ich arbeitete damals als DAAD-Langzeitdozent in Bandung – war so eindrücklich wie überraschend.
Der führende Komponist Indonesiens zu jener Zeit, Slamet Abdul Sjukur, hatte am 30. Juni 1995 seinen 60. Geburtstag. Als einer meiner engsten Freunde und Mitstreiter war es mir sehr wichtig, ihn mit einem kleinen Portraitkonzert zu ehren. Am Goethe Institut klappte das nicht (die Gründe habe ich vergessen), und so ging ich zum Kulturattaché der Botschaft, Dr. Thomas Prinz, der ebenfalls kulturinteressiert war. Da es sich hier jedoch um eine größere Veranstaltung handelte, bat Dr. Prinz, direkt mit dem Botschafter, Dr. Seemann, darüber zu sprechen. Dr. Seemann begrüßte mich in seinem geschmackvollen Büro sehr jovial und locker.
Eine der ersten Fragen lautete: Sagen Sie mal, was macht denn der Herr Sjukur für eine Musik? Ich zögerte mit meiner Antwort, weil man ja nie weiss, wie man zeitgenössische Musik einem vermeintlichen Nicht-Fachmann beschreiben soll. Aber noch während ich zögerte, sprach er weiter: Klingt es wie Györgi Ligeti oder eher wie Morton Feldman? Und jetzt war ich platt und ziemlich erstaunt. Dr. Seemann kannte sich in Neuer Musik bestens aus.
Das hat mir sehr imponiert. Das Gespräch wurde daraufhin noch ziemlich lange. Und natürlich fand das Konzert in der Botschaft statt. Dr. Seemann hielt eine kleine Rede, die kein Musikwissenschaftler hätte besser halten können.
Und hier schließt sich ein Kreis: Dr. Seemann und Dr. Djelantik waren die Ehrenpräsidenten der Walter-Spies-Gesellschaft Deutschland. Dr. Djelantik hielt wiederum im Jahr 1988 im Art Centre Denpasar eine ebenso brillante Rede über Neue Musik, als ich dort mit meinem Ensemble gastierte und meine Musik präsentierte. Beide sind idealtypische Protagonisten des kulturellen Dialogs und der kulturellen Bildung.
Es müsste mehr von solchen Menschen geben!“
In tiefer Verehrung und Dankbarkeit nehmen wir Abschied von Dr. Heinrich Seemann,
Horst Jordt – Cornelia Biegler-König – Rudolf Smend